The Doors

Dies hier ist Rock�n�Roll. Hier treiben sich alle die herum, die es in der Welt draußen nicht schaffen, die Verzweifelten.

Craig Kee Strete


Das Amerikanische Institut für öffentliche Meinungsforschung befragte in der ersten Novemberhälfte des Jahres 1969 insgesamt 1.092 Studenten an 57 Colleges und Universitäten, was sie verändern würden, wenn sie Präsident der USA wären. Wie die International Herold Tribune am 22. Dezember 1969 meldete, stand auf der Liste der außenpolitischen Aufgaben an erster Stelle die Beendigung des Vietnamkrieges. Zwar hatte Lyndon B. Johnson unter dem Druck nationaler und internationaler Protestaktionen im November 1968 die Bombardierung der Demokratischen Republik Vietnam einstellen müssen, doch hatte sich auch zu Beginn der ära Nixon das so genannte Engagement der USA in Indochina keineswegs erledigt, wie zum Beispiel Ende April 1970 die Intervention in Kampuchea bewies. Just in dem Monat, als Johnson zum ersten Mal öffentlich Flüge von US-Bombern nach Nordvietnam als beendet in Aussicht stellte (März 1968), veröffentlichten die Doors eine Single, die verständlicherweise ein riesengroßes Echo hervorrief: �The Unknown Soldier�. Ohne patriotische Taten der Vergangenheit, wofür Denkmäler gelegentlich errichtet werden, zu verunglimpfen, schrie der Sänger überschäumend und glücklich heraus, was die Krieg hassende Fraktion der amerikanischen Jugend schon lange wünschte: �It�s all over / The war is over!� Nicht für ein Publikum gedacht, dass sich mit feuchten Augen beim Singen des verheißungsvollen �We shall over come! in die konfliktfreie Zukunft träumte, wirkte �The Unknown Soldier� in seinen keineswegs naiv vorgetragenen Nachrichten vom Kriegsende deshalb so überzeugend, weil die weltweiten Kampagnen zu berechtigten Hoffnungen Anlass gaben. Die Doors, nach zwei Langspielplatten strukturell sehr gereift, hatten sich für den Schluss des Songs nicht nur jubilierendes Glockengeläut einfallen lassen, sondern vermittelten in einem melodramatisch angelegten Zwischenteil, einer Exekution, die nahe liegende Erkenntnis, der anscheinend in weiter Ferne tobende Krieg richte sich gegen die eigene, zumal junge Bevölkerung der USA. Um an dieser Aussage keinen Zweifel aufkommen zu lassen, schlüpfte der Doors-Sänger in einem dreiminütigen Promotionsfilm in die Rolle des hinzurichtenden Soldaten. Der zu diesem Zeitpunkt bereits als nationales Rock-Idol gehandelte Jim Morrison wusste sich perfekt in die politische Waagschale zu werfen. Er selbst, Sohn eines ranghohen Marineoffiziers, hatte sich mit verschiedenen Tricks erfolgreich vor der Einberufung drücken können. Unwillige tarnten sich als Homosexuelle, Psychopathen oder Studenten. In vielen Fällen mag dies unter der Jugend eine unpolitische Entscheidung gewesen sein, doch in der Tendenz stand dahinter eine Absage an das Weiße Haus. Im 68er Wahlkampf hatte Senator George McGovern erklärt, infolge der Ausdehnung des Krieges geraten �Millionen Amerikaner an den Rand einer Rebellion gegen die eigene Regierung�. Rebellen aller Schattierungen, ob Dozenten, Studenten, Mitglieder von Mobilisierungskomitees für die Beendigung des Vietnamkrieges oder Rockbands standen buchstäblich im Kreuzfeuer des bürgerlichen Machtapparates. Vier während einer Protestaktion auf dem Universitätsgelände von Kent (Ohio) am 4. Mai 1970 erschossene Studenten wurden durch einen Song von Crosby, Stills, Nash and Young zu den bekanntesten Opfern des bundesweiten Unterdrückungsfeldzuges. Wo immer sich die Gelegenheit bot, nutzten die Behörden Rechtsverstöße, um den Aushängeschildern der Jugendbewegung, wozu vor allem Rockstars gehörten, die Existenz bedrohende Denkzettel zu verpassen. Vom politischen Kern der Auseinandersetzungen ablenkend, legten sich Elternverbände und Gerichte ins Zeug gegen Alkoholismus, Drogenmissbrauch, Moralverstöße und Konzertrandale. Anlässe dieser Art lieferten die Doors, wie wir noch sehen werden, jede Menge.
"The Unknown Soldier"�" rangiert in der Doors-Discographie als optimistisches Gegenstück zum apokalyptischen �The End�, dem Schlusstitel ihrer ersten LP vom Januar 1967. Was als traurige, dennoch vergleichsweise harmlose Aufkündigung einer Freundschaft oder Liebe beginnt "Das ist das Ende, schöner Freund"" entwickelt sich über ein damaliges Unmaß von knapp 12 Minuten zum Schreckensbild, das in seinem Symbolgehalt einen Bogen von der griechischen Antike bis in die bedrückende Gegenwart der USA schlägt. Offenbarte die Apokalypse des Johannes im Neuen Testament das Ende der Welt, so lieferten dazu Jim Morrison und seine drei Kollegen John Densmore, Robbie Krieger und Ray Manzarek angesichts der innen- und außenpolitischen Konfliktherde der USA eine aktuelle Rockfassung. Als Gleichnis für die Entwertung humanistischer Positionen diente dem hoch gebildeten Morrison die Geschichte des König ödipus, der seinen unerkannten Vater erschlägt und dann auch noch der eigenen Mutter ins Ehebett folgt. In der griechischen Mythologie noch als tragisches Versehen gewertet, reißt Morrison, der sich auch in sexualpsychologischen Schriften auskannte, alle Etiketten nieder und stellt den Vatermord und die Vergewaltigung der Mutter als bewussten Akt hin:

Der Mörder erwachte vor dem Morgengrauen
Zog seine Stiefel an
Er nahm ein Gesicht aus der alten Galerie
Und ging hinunter in den Flur
Er ging in das Zimmer seiner Schwester
Dann besuchte er seinen Bruder
Und dann ging er weiter den Flur entlang
Und er kam an eine Tür
und er schaute hinein
Vater
Ja Sohn
Ich will dich töten
Mutter
ich will...

Nur in der Originalpressung der ersten Langspielplatte taucht das Wort Fuck auf, dann sorgte die Zensur für eine überlagerung mit Schreien und instrumentalen Geräuschen.

"The End" zeigte die Doors auf der Höhe der Zeit. Ohne als besonders stark politisch orientierte Band angetreten zu sein, stand sie jenseits aller bunten Hippie-Träume und spielte einer finsteren Zeit den gebührenden Soundtrack. Als sich Francis Ford Coppola gut zehn Jahre später nach Musik für seinen Film �Apokalypse Now� umhörte, musste er notwendigerweise auf dieses unzweideutige Zeitdokument stoßen (überdies kannte Coppola den späteren Doors-Sänger vom gemeinsamen Studium im Fachbereich Film der Universität Los Angeles).
Die Handlung des Films führt ins Jahr 1969. Captain Willard, ein junger intelligenter Angehöriger einer Spezialtruppe der US Army wird von der CIA beauftragt, einen desertierten Colonel aufzuspüren, der zwischen der vietnamesisch-kampucheanischen Grenze eine private Schreckensherrschaft errichtet hat. Willards Auftrag lautet, den Colonel zu töten. Von der Berliner Filmkritikerin Margit Voss stammen die folgenden überlegungen zum Film/Musik-Zusammenhang: �Das Doors-Stück charakterisiert sehr genau die Situation des Filmhelden. Es charakterisiert aber auch das Lebensgefühl der amerikanischen Jugend schlechthin, angesichts der Hölle, in die sie durch den Vietnam-Krieg geraten war. Und zum Dritten wollte Francis Ford Coppola mit diesem Titel den Zuschauer in eine bestimmte Grundstimmung versetzen, ihn vereinnahmen, wie überhaupt der ganze Film einer Hypnose gleichkommt. "The End" steht am Anfang des Films, zu dessen Wirkungskomponenten Breitwand und Dolby-Stereosound gehören. Der Zuschauer sieht zu Beginn üppige tropische Pflanzen, ja, eine Pflanzenwand, saftig grün. Eine Idylle, möchte man meinen, weil der gelbe Sandstrand davor, ein azurblauer Himmel darüber die Illusion von Unberührtheit und Ruhe vorgaukeln. Und dann diese Spuren von rechts nach links, als sei eine Libelle vorbei geflogen, ein Sekundenschatten, der nicht genau auszumachen ist � später werden wir wissen, dass so Hubschrauberflügel aus großer Entfernung klingen � und plötzlich ist aus der üppig grünen Wand ein Flammenmeer geworden, so heftig und plötzlich, so gewaltig und unaufhaltsam, dass einem der Atem stockt, man sich unwillkürlich duckt, im Kinosessel verkriecht, Rettung sucht vor diesem Inferno. Das geht eine ganze Weile so, bis man begreift, wie denen zumute gewesen sein muss, die diese Hölle erlebt haben. Aber Coppolas Thema ist nicht die Situation der eigentlichen Opfer, sondern die Zerstörung derjenigen, die die Flammenwerfer, das Napalm bedienen. Er will zeigen, wie Krieg die Macher demoralisiert, wie er Werte zerstört, die der Mensch in sich trägt.
Captain Willard, gespielt von Martin Sheen, vegetiert in einem abgedunkelten Zimmer dahin zwischen Trunkenheit und Halluzination, abgetakelt, angeekelt, unfähig, sich selbst zu disziplinieren — und wozu auch. So lebend, weit weg von hoffnungsvollen Plänen, weit weg von Gedanken an irgendeine Zukunft, mit fünfundzwanzig so müde wie ein Hundertjähriger, treffen Morrisons Worte
Das Ende von Lachen und Lügen
Das Ende von Nächten in denen wir zu sterben versuchten
Das Ende

genau die physische und psychische Situation der Zeit.

Coppolas stark beachteter, wenn auch umstrittener Film "Apokalypse Now" führte in den USA zu einem Doors-Revival, dem sich Elektra-Records 1980 mit einem Greatest-Hits-Album anpasste. Spezielle Taktik dabei: "The End" suchte der Kunde auf dieser Kollektion vergeblich, so dass er sich auch noch das Debüt-Album bzw. die als Doppel-LP vorliegende Nachpressung der ersten beiden Langspielplatten (Two Originals Of The Doors/73) bzw. den Soundtrack zulegen musste. Obgleich Manzarek, Densmore und Krieger Anstrengungen unternahmen, um die Doors als lebendigen Organismus zu erhalten, zwei Platten als Trio heraus brachten, mehrere Live-Acts aus den Archiven kramten, und 1978 die noch zu behandelnde Morrison-Ehrung �An American Prayer� vorlegten, so trug doch der Totenschein Jim Morrisons vom 3. Juli 1971 als unsichtbaren Zusatz auch den Exitus der Doors. Dies wurde Ray Manzarek endgültig klar, als sein Vertrag mit Elektra auslief und er gegenüber dem Melody Maker im Oktober 1973 mitteilte: �es wurde Zeit die Doors ruhen zu lassen. Manche Dinge können noch für eine lange Zeit funktionieren, andere nicht. Und die Doors ohne Jim Morrison waren eben nicht mehr das, was man sich darunter vorstellte.�

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