Iggy Pop

Wir hätten so was werden können wie die amerikanischen Rolling Stones.

Ron Asheton


Es zählt zu den Binsenweisheiten des Rockgeschäfts, dass Raubpressungen dokumentarischer Wert zukommt, dass sie die ungeschminkte Wahrheit über handwerkliche Fähigkeiten, Dramaturgie, Mentalität, Spielfreude, Publikumsresonanz vermitteln (können). Nur wenige Bootlegs freilich fangen Momente ein, die schlaglichtartig das Wesen einer Band freilegen. die eine Situation zumindest akustisch fixieren, von der Beobachter meinen, sie entblöße die Psyche eines Künstlers.

Ein solches Dokument ist zweifellos die zur offiziellen Diskographie gehörende LP �Metallic K. O.�, im Untertitel �Open up and bleed � the last ever Iggy and the Stooges show�. Ort des Geschehens: Michigan Palace Detroit, Silvester 1973. Wenngleich die Stooges erst Anfang 1975 ihren Geist aufgaben und möglicherweise noch andere Konzerte absolvierten, denen kein wie auch immer zustande gekommener Mitschnitt vergönnt war, liegt mit �Metallic K.O.� ein absonderlicher Abgesang vor, ja, eine Art grotesker Schwanengesang oder auch das vorläufige Finale eines Don Quixote der Rockbühne.

Was ist denn nun passiert?
Die Band, neben Pop bestehend aus dem Gitarristen James Williamson, dem Pianisten Scott Thurston, dem Bassisten Ron und dem Schlagzeuger Scott Asheton setzen nach einem fiebrig-radikalen Powerplay zum Finale an. �Louie Louie� soll den Schlusspunkt setzen, doch Konfussion ist angesagt. Obgleich Thurston die richtigen Töne anschlägt, kriegt Ron Asheton seinen Bass nicht gestimmt. Iggy, anscheinend bis unter die Haarwurzeln voll harter Drogen, übernimmt die Rolle des Pausen füllenden Conferenciers und vertröstet zunächst ein Groupie auf später, da er bei der Arbeit keinen Nahverkehr mag (I won�t fuck you when I�m working�). Iggy registriert Wurfgeschosse und bleibt cool: Ihr habt Euer Geld bezahlt, nun nehmt eure Chancen wahr. Gibt�s noch jemanden, der was auf die Bühne werfen will? Den rettenden Strohhalm glaubt er dann im Vorstellen der Band gefunden zu haben: ...und vergesst nicht Euren Lieblingstypen, den Sänger... Ich bin der Größte...

Und nun hört man sogar die Einschläge! Der Größte beugt sich: Habt Ihr noch mehr Eier? Oh, nicht getroffen. Versucht�s noch einmal.

Die Demontage des Iggy Pop geht weiter, vergleichbar nur dem Fiasko des Professor Unrat auf der Cabaret-Bühne. Schreit er zunächst noch nach einem Handtuch, um sich von Eierspuren zu säubern, so ergibt er sich letztlich seinem Schicksal und schlürft das Dotter vom eigenen Gesicht. Kurzfristig aus dem masochistischen Alptraum erwachend, folgt er seinen Kollegen in die Garderobe.

Nach Rückkehr der Band erklingt nun endlich �Louie Louie�. Und die abschließenden Worte Iggy Pops lassen vermuten, dass ein Knock Out beinahe zu befürchten stand: Ich bedanke mich bei der Person, die mir eine Flasche an den Kopf warf und mich fast getötet hätte...
Versuch�s nächste Woche noch mal!

Das Klirren der runter fallenden Flasche ist der letzte Ton von �Metallic K.O.�. Jeder mache sich selbst einen Vers darauf, warum ein Detroiter Rockmagazin diese LP zum �größten Rock�n�Roll-Monument aller Zeiten" hochstilisierte. Die Frontseite des Covers gewährt einen weiteren Einblick in die destruktiven Spiele zwischen Bühne und Publikum: Pop liegt bewusstlos am Boden, niedergestreckt von der Faust eines von Iggy gestellten Hünen, der eine Zwölferpackung Hühnereier als spezielles Präsent ins Konzert geschmuggelt hatte. In seinem Buch �I Need More�- nach Tonbandprotokollen aufgeschrieben von der Avantgarde-Künstlerin und Pop-Förderin Anne Wehrer � schildert Iggy die Situation folgendermaßen:

�Ich wollte eine Show daraus machen und hüpfte auf Zehenspitzen herum, wie ich es bei Boxern im TV gesehen hatte, und ich trat an wie David gegen Goliath, um meinen Peiniger ins Visier zu nehmen. Auf seine Faust zu starren war wie das Warten auf die angekündigte Zugankunft. Er wich aus und erledigte mich mit einem Schlag, so ging ich zu Boden und blutete. Ich hab� noch immer eine Narbe zwischen meinen Augen. Ich blutete und sah Sterne. Da es offensichtlich war, dass ich nicht gewinnen konnte, sagte ich dann: Alright, weiter geht�s mit der Show.�

Dieser Vorfall ist weder tragisch noch komisch zu nennen, er erschreckt eher als er Betroffenheit oder Spott auslöst und erinnert weniger an Konzertgepflogenheiten als an aggressive Gelüste bei Mannschaftsspielen in großen Stadien, wo offenbar jedes gebrochene gegnerische Nasenbein die eigenen Siegeschancen mehrt.

Nun, der Pop/Williamson-Song �Raw Power�, womit der metallene K. O. eingeläutet wird und der dem dritten Stooges-Album 1973 den Titel gab, verheißt zwar Unheil, doch entpuppt er sich beim näheren Hinhören als brachiales Liebeslied, denn �Rohe Kraft hat magische Ausstrahlung / Rohe Kraft ist viel zu viel / Glück ist garantiert / sie wurde für dich und mich gemacht�. Und ganz nebenbei bekommen in der Motor-Town/Detroit ansässige, stilistisch aber völlig anders orientierte Musiker einen netten Seitenhieb: �Rohe Kraft ist mehr als SOUL / sie hat einen Sohn � genannt Rock�n�Roll� (zu dieser Zeit waren allerdings Motown-Records bereits von Detroit nach Los Angeles umgezogen).

In der Tat spielten die Stooges an der Schwelle zum zweiten Jahrzehnt der Beat-ära den kompromisslosesten Rock, setzten Raw-Power in schnörkellose, mittelschnelle oder schleppende, aggressive Gitarrenstücke um, zu denen Iggy Pop seinen Beitrag als rhythmisch rufender Schamane mit näselndem Bariton leistete. Der fast krankhafte Exhibitionismus des Sängers, der in letzter Konsequenz seinen Körper mit Scherben attackierte und auch vor öffentlicher Entblößung nicht zurückschreckte, ließ ihn zu einer Zeit, als Millionen junger Leute noch immer dem �Love and Peace�-Traum nachhingen und 500.000 von ihnen in Woodstock durchnässt wurden, nur den Status einer fürchterlichen Randfigur, eines Rockers, der nicht so recht in die Zeit zu passen schien. Und so kann es nicht verwundern, dass die erste Stooges-LP damals kaum Spuren hinterließ, und zum Beispiel die Diskographie der aktualisierten und erweiterten Auflage des Rocklexikons von Schmidt-Joos/Graves sechs Jahre später die Stooges für das Jahr 1969 nicht registriert. Für die Entwicklung der Rockmusik hat es zu jener Zeit eben wichtigere Bands gegeben: Blood, Sweat and Tears, The Flock, Jimi Hendrix, The Nice, Santana, The Who (�Tommy�), Pink Floyd (�Gumma Umma�) und die ebenfalls in Detroit ansässigen MC 5! Wiederum nur zwei Jahre später, zur Blütezeit der Punk-Revolte, die dem Verkunstungsprozess der Rockmusik zunächst mal einen Strich durch die Rechnung machte und von der sozialen Misere der Jugendlichen in Großbritannien genährt wurde, stand Pop plötzlich auf einem Sockel mit der Inschrift �Godfather des Punk�. Dafür hatten die Sex Pistols höchstselbst mit ihrer Coverversion des 69er Stückes �No Fun� gesorgt. No Future, No Fun � klare Sache!

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