Jimi Hendrix

Diese Axt traf mich mitten ins Gesicht, und ich wollte das nächste Jahr lang keine Gitarre mehr anfassen.

Mike Bloomfield


Fast wäre der schwergewichtige Schwarze über den kleinen Couchtisch des Berliner Hotelzimmers gesprungen. "Mich fragst du, ob ich mich an die Zeit mit Jimi Hendrix erinnern kann, ausgerechnet mich?" Zugegeben: die Frage, etwas ungeschickt formuliert, musste ihn nachts um halb drei, nach seinem zweiten famosen Konzert mit Santana am 6. April 1987, schon ein wenig aufregen – wenigstens zum Spaß seiner Gäste. Buddy Miles spricht gern über seine Monate an der Seite des James Marshall Hendrix, der für ihn nach wie vor "Der Größte" ist. "Ich habe mit den bekanntesten Gitarristen gespielt", erzählt Buddy, "mit Jeff Beck, Eric Clapton, Frank Zappa, Jimmy Page, alle waren oder sind hervorragend, doch keiner reicht an Jimi heran. Er hatte eine neue Dimension des Spielens aufgemacht, ein aus tiefster Seele kommendes, handwerklich revolutionäres Spiel. 1969/70, als wir Studioaufnahmen und die tollen Konzerte im Fillmore East (für die LP "Band Of Gypsys" – d. A.) machten, waren wir drei also Bassist Billy Cox, Jimi und ich, sehr glücklich. Und ich bin der festen überzeugung, wenn sich unsere Wege nicht getrennt hätten, wäre er heute noch am Leben."

Eine dem Alkohol geschuldete sentimentale Hypothese? Nein! Buddy Miles war völlig nüchtern, er hing seinen Erinnerungen nach, sprach unverklärt und offen. "Jimi stand unter dem Druck seines Managements, das seinen Visionen von neuer Musik nicht folgen wollte. Er brauchte Hilfe und Schutz, doch die Geschäftsleute trieben ihn herum und forderten all die Sachen, von denen Jimi nichts mehr wissen wollte, also Show-Mätzchen, brennende Gitarren und das Spiel mit der Zunge auf den Saiten. Das Management hat ihn umgebracht."

Vor Gericht garantiert anfechtbar, entbehrt der Vorwurf nicht einer gewissen Grundlage, wie sich an mehreren Stationen der Karriere von Jimi Hendrix belegen lässt. Bezeichnenderweise liefert die Live-LP "Band Of Gypsys" ein Beispiel ganz besonderer Art.

Die Verkrampfungen in und um den Superstar, der schon drei erstklassige Alben vorgelegt hatte, wuchsen 1969 in ungeheurem Maße. Seiner Rolle als profitabler Jahrmarktsattraktion, die von Auftritt zu Auftritt gehetzt wurde, überdrüssig und unterwegs zu einer für ihn noch unerforschten musikalischen Experience (Erfahrung), wofür das Management keine Veranlassung sah, überwarf er sich Ende 1968 mit seinem Geschäftspartner Chas Chandler sowie den musikalischen Kollegen Mitch Mitchell und Noel Redding. Alle drei – Chandler hatte seine Rechte für 300.000 Dollar an Michael Jeffery abgetreten – kehrten nach England zurück. Sie bestritten zwar im ersten Halbjahr 69 noch einige Konzerte, unter anderem ein kompromissloses Gegeneinanderspiel in der Londoner Royal Albert Hall, doch im Prinzip war das Kapitel des ersten Hendrix-Trios erledigt.

Chandler hatte sich zu einer Zeit aus dem Staub gemacht, als ein Mann namens Ed Chalpin auf den Plan traqt und auf alte Rechte pochte. Der Besitzer von PPX Enterprises, einer Produktionsfirma und Agentur, bei dem Hendrix in der Tat am 15. Oktober 1965 einen drei Jahre gültigen Vertrag unterschrieben hatte, klagte gegen seinen abtrünnigen Künstler, dessen Manager und das Record Label Reprise von Warner Brothers, wo Hendrix ebenfalls unter Vertrag stand. Chalpin, ein windiger Geschäftsmann, sah die Stunde des großen Geldes gekommen und ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Aus einer Recherche des Kölner Publizisten und Regisseurs Joachim Sonderhoff geht hervor, dass die Vertragsformulierung "Jimmy (so geschrieben!) Hendrix produziert und spielt ausschließlich für PPX Enterprises..." Chalpin praktisch Narrenfreiheit über finanzielle Forderungen an Warner Bros und Hendrix» künstlerische Arbeit garantierte.

Die Manager einigten sich außerhalb des Gerichtssaales zugunsten beider Seiten und zum Nachteil des Künstlers. Lassen wir einmal die Summen aus dem Spiel, dann ist immer noch von (mindestens) drei Langspielplatten zu reden, die Chalpin aus Material zusammenstellen durfte, das zwischen 1965 und 68 bei Sessions mit Jimi Hendrix und dem Sänger Curtis Knight entstand. Obgleich pures Geschäft dahinter stand, entbehrten diese Editionen nicht eines gewissen Sammlerwertes und hoben sich sozusagen noch positiv von einigen anderen posthum erschienenen Kollektionen ab. Curtis Knight übrigens profitierte noch ein zweites Mal vom Ruhm seines 1964 völlig mittellos in New York getroffenen Kumpels: "Jimi – An intimate Biography" hieß sein 1974 auf den Markt gebrachtes Buch, das, wie der englische Melody Maker im Juni 1974 schrieb, zuweilen in phantastische Regionen abgleite, ansonsten aber wichtige Informationen aus erster Hand böte.

Chalpin, der einem zukünftigen Weltstar auf Empfehlung Knights einen Vertrag gab, konnte aufgrund der Absprachen mit Michael Jefferys auf das größte Geschäft seines Lebens hoffen – eine extra für PPX Enterprises zu produzierende Hendrix-LP stand ihm noch zu. Das Ergebnis fand zu Silvester 1969 im New Yorker Fillmore East statt, der vom Veranstaltungsmagnaten Bill Graham geführt wurde. Als Förderer der Jugendkultur hatte er sich sowohl in New York als auch in seinem Fillmore West von San Francisco über Jahre eine goldene Nase verdient und zeigte sich immer wieder an Topacts interessiert, da die Großen der Szene inzwischen wegen der höheren Profitrate in den großen Arenen zu spielen pflegten. So hatte ihm beispielsweise Doors-Manager Bill Siddons bereits 1969 einen Korb gegeben, weil die geforderten 35.000 Dollar nur über 20.000 Zuschauer im Madison Square Garden zu erlangen waren und nicht über die Kapazität eines ehemaligen Kinos, genannt Fillmore East. Graham, auf Erfolg programmiert, sicherte sich den ersten großen Auftritt der Band Of Gypsys, räumte ihr sogar Probezeit ein und soll, laut Sonderhoff, überhaupt als Mitinitiator des Projektes gelten. Und in der Tat genoss Graham nicht nur den Ruf eines cleveren Geschäftsmannes, sondern auch als Berater, wie das Beispiel Carlos Santana belegt (siehe entsprechendes Kapitel). Aus den beiden Konzerten vom Silvester- und Neujahrstag wurde die den Namen der Band tragende LP zusammengestellt (worauf Hendrix keinen Einfluss hatte) und im Frühjahr 1970 veröffentlicht. Die Reaktionen waren zwiespältig. Während das Publikum offenbar großen Spaß empfand und auf der B-Seite sogar ins rhythmische Klatschen verfiel, während die LP in den USA immerhin auf den 12. Rang und in England sogar auf den 3. Platz der Charts vorstieß, teilte die Kritik heftige Schelte aus. "Ich sage dir, warum. Weil sie eine Band aus drei Schwarzen nicht ausstehen konnten", kommentierte Buddy Miles 1987 die Verrisse. "Ich weiß, dass sie speziell an mir was auszusetzen hatten, aber erstens bin ich ein verdammt guter Funkrock-Drummer und zweitens wollte Jimi endlich mal ein richtiges Schwergewicht hinterm Schlagzeug haben, und das war ich."

Bei allen gegenrassistischen Plänkeleien und witzigen Erinnerungen dürfte klar sein, dass die "Band Of Gypsys" wirklich noch einen Schritt weitergegangen war als das gemischtrassische Experience-Trio, und zwar in einem Sinne, den Curtis Knight in seiner Hendrix-Biographie erwähnt:
"Es war der Versuch eines schwarzen Musikers, eine neue Musik in einem von weißen Mittelschicht-Bands dominierten Umfeld mit entsprechendem Publikum erklingen zu lassen. In Amerika wurden schwarze Acts einfach nicht in dem Maße gebucht wie es in Europa gang und gäbe war."
Ernstzunehmende Kritikern ging’s indes keineswegs um eine Farben-Debatte, sondern um die weitere Entwicklung des Künstlers Hendrix, der im Fillmore East mit Billy Cox und Buddy Miles für einen amüsanten Jahreswechsel gesorgt, dabei eine unkomplizierte Mixtur aus Rock und Soul im kollektiven Spiel entwickelt und fröhlich−locker musiziert und gesungen hatte – ansonsten jedoch wenig Neues bot. Abgesehen von ein, zwei Ausnahmen! Eine davon: "Machine Gun", ein über zwölfminütiges Stück, das Hendrix als äußerst formbewussten Komponisten und Arrangeur zeigt, der seine hohe Gabe der Improvisationskunst über ein Riff entfaltet, wofür eine MG-Garbe als rhythmischer Ansatzpunkt dient. Das Trio spielt spannungsgeladen und sehr dynamisch, zuweilen übernimmt auch Buddy Miles den Gesangspart, dessen gesprochene Schlusszeilen lauten:

"Yeah, das ist’s, was wir nie wieder hören wollen
Keine Geschosse, keine Gewehre, keine Bomben."

In einer Ansage formuliert Hendrix (und er wird dies auch später in ähnlicher Weise tun), auf wen er diesen militanten Friedens-Song münzt, nämlich "auf alle Soldaten, die in Chicago, Milwaukee und New York, oh ja, und auf alle Soldaten, die in Vietnam kämpfen", die also ihr blutiges Handwerk gegen Bürgerrechtler, Vietnam-Kriegsgegner und Vietnamesen verrichten. Kurz vor Schluss entlockt Hendrix seinem Instrument eine kleine asiatisch anmutende Melodie, bevor er die Gitarre, im übertragenen Sinne, zur Explosion bringt. Zweifellos besteht zwischen "Machine Gun" und der ein halbes Jahr zuvor in Woodstock vorgenommenen Demontage der amerikanischen Nationalhymne ("Star Spangled Banner") eine enge ästhetische und politische Bindung.

Was die Kritik an der quirligen B-Seite betrifft, so muss eine für Hendrix kurz vor dem Fillmore-Konzert stattgefundene wichtige Entscheidung unbedingt berücksichtigt werden. Ohnehin von Unzufriedenheit über Management und künstlerischen Perspektiven zermürbt, erwartete ihn am 12. Dezember in Toronto ein Prozess wegen Drogenbesitzes und -schmuggels. Ein halbes Jahr vorher, am 12. Mai 1969, hatte der kanadische Zoll in Hendrix» Gepäck Haschisch und Heroin gefunden. Ob Hendrix irgend einem Süchtigen einen Gefallen tun wollte oder, wie einige Rockpublizisten vermuten, von Jeffery hereingelegt wurde, um ihn gefügig zu machen, blieb unklar. Jedenfalls gelang es seinen Verteidigern und Zeugen glaubhaft zu versichern, dass ihm der Stoff nicht gehörte und so folgte ein Freispruch. Wer wollte es ihm verdenken, einen Teil des Silvesterkonzertes mit seinen Freunden Buddy Miles und Billy Cox als Soul-Feier zu gestalten?

Letzter Kommentar von Jimi Hendrix dazu gegenüber Chris Welch vom Melody Maker im Mai 1970: "Mit dem Album war ich nicht so übermäßig zufrieden. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es nicht herauskommen dürfen. Vom musikalischen Standpunkt aus war es keine gute Aufnahme, und ich habe mich ein paar Mal verspielt. Es war nicht sorgfältig genug vorbereitet. Wir schuldeten der Plattenfirma ein Album – sie machte Druck, und hier ist es."

Seattle, strategisch wichtige Hafenstadt im nordwestlichen Zipfel der USA, am 27. November 1942. James Marshall Hendrix, angeblich von seiner Mutter zunächst Jimmy Allen genannt, wird geboren. In seinen Adern fließt europäisches, afroamerikanisches und indianisches Blut. Seine Kindheit leidet unter den Konflikten seiner Eltern und dem frühen Tod der Mutter. Als Zehnjähriger kümmert er sich um den kleinen Bruder Leon, bekommt ein Jahr später eine akustische und nach weiteren zwölf Monaten eine elektrische Gitarre geschenkt.

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