Frank Zappa

Er ist erstaunlich.
Er ist der unermüdlichste Leiter — wen auch immer er gerade leiten mag. Er ist das intelligenteste Arschloch, das ich bisher traf.

Grace Slick (Starship)


Zwischen all den organisch gewachsenen oder von marktgewaltigen Konzernen künstlich initiierten Strömungen und Trends der Rockmusik und ihrer Repräsentanten schwebt über einem Namen, der � wenn überhaupt � eher in den Klatsch- und Skandalspalten als in Hitlisten westlicher Musikzeitschriften auftaucht (von größeren wertenden Beiträgen einmal abgesehen), eine Aura des Absonderlich-Besonderen, des Unerschöpflich-Produktiven, des Zynisch-Arroganten, des Provokativen: Frank Zappa. Versucht man, das Wesen des Zappaschen Werkes in der lässigen Rhetorik des auf die 50 zugehenden Komponisten, Texters, Arrangeurs, Multiinstrumentalisten, Sängers, Dirigenten, Multimedialkünstlers, Produzenten und gelegentlichen Bandchefs zu formulieren, so wäre er als Inhaber einer Musikalischen Gemischtwarenhandlung trefflich bezeichnet. Zappa entging und entgeht kaum ein musikalisches Zeugnis aus Gegenwart und Vergangenheit, so es ihm in den Kram passt, ob nun als ernsthafter Aneignungs-Versuch oder sarkastische Parodie auf Bob Dylan bzw. Punk (�Sheik Yerbouti�, 1979). Doch wer will da noch einen Unterschied machen, wer will die Trennlinie ziehen � er selber krümmt dafür jedenfalls keinen Finger, es sei denn, und an derartigen rigiden Statements herrscht wahrlich kein Mangel, der an Aufklärung interessierte Musikfreund wählte folgende Aussage aus den Guitar Magazine von 1979 als Schlüssel zur Eroberung des Zappaschen Werkes (zitiert nach Musikexpress 4/80): �Ich werde immer alle Dinge, die ich selbst tue, verscheißern, und alle Dinge, die du tust, verscheißern. Manche Leute meinen schon seit langer Zeit, dass die Welt ein großer Scheißhaufen ist, und wenn man dem zustimmt, dann kann man auch alles verscheißern, denn kaum einer wird merken, wenn du ein Stückchen Scheiße noch besonders verscheißerst.� Zweifellos lässt sich aus diesen Worten die Grundhaltung eines Zynikers herauslesen, eines Menschen, der mit gehässigem Spott die Dinge und Prozesse seiner bzw. der ihn umgebenden Welt betrachtet und wertet. Es wäre ein Trugschluss, diese Zappasche Sichtweise als Attitüde abzutun, als charakterliche Besonderheit oder spezifische Erscheinungsform seiner Mentalität. Zur Anreicherung solcher psychologischer Faktoren trug Zappa selbst bei: �Zyniker zu werden ist die logische Konsequenz der modernen Gesellschaft. Es ist eine positive Sache. Viele Leute finden das nicht, weil sie Angst vor Zynikern haben. Sie wollen nicht hören, dass jemand die Dinge, an die sie glauben, für Quatsch hält.� (Musikexpress 4/80) Demzufolge kommt Zynismus einem notwendigen Reflex auf die Widersprüche einer in ihren Mechanismen undurchschaubaren, zumindest jedoch dem Individuum unveränderbar erscheinenden Gesellschaft gleich. Zynismus als Lebenshilfe für das resignierende künstlerische Subjekt? Nun, Zappas ungebremster Arbeitseifer, der sich Mitte der `80er Jahre noch potenzieren konnte, liefert keinen überzeugenden Beleg für resignative Gedanken. Er stürzte sich schonungslos in die selbst gestellten Aufgaben, scheut dafür auch keine Kosten. Allein die Produktion der `83er LP �Zappa� (Vol.1) mit dem London Symphony Orchestra unter der Leitung von Kent Nagano soll sein Guthaben um 300.000 Dollar geschwächt haben. Dieses unbändige Verlangen nach Selbstverwirklichung geht einher mit düsteren Kommentaren und dem schier unglaublichen Offenbarungseid, die Funktion der Kunst (in den USA) betreffend: �Den Point of No Return haben wir überschritten. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Eine Verbesserung der Lebensqualität durch die Kunst zu erwarten, halte ich nicht für vernünftig. Es wird keine Verbesserung geben. Es ist zu spät.� (ME/Sounds 11/84) Im Prinzip degradiert Zappa seine künstlerischen äußerungen zu �Tapeten für einen Lebensstil�, von den hochfliegenden provokativen Ideen früherer Jahre scheint kaum noch ein Quäntchen übrig zu sein. (Als �Tapeten� hatte er immer den Rock der Mehrheit verstanden.) So revolutionär freilich, wie man Zappa gern nachredet, war er nie und bestritt dies auch, so oft er danach gefragt wurde. Und doch hat Zappas Zynismus � als eine Erscheinungsweise resignativer Weltsicht � eine andere Qualität erlangt als in den sechziger Jahren, wofür sein wohl berühmtestes Zitat aus Schmidt-Joos/Graves` Rocklexikon Beleg ist: �Kein Akkord ist hässlich genug, all die Scheußlichkeiten zu kommentieren, die von der Regierung in unserem Namen verübt werden.� Hier steht der Propagandist einer aufblühenden Gegenkultur hinterm Mikrophon und eben noch nicht der desillusionierte Künstler, der ehrgeizig auf unerschütterliche Kreativität und Erweiterung der eigenen Diskographie bedacht ist. Zappas Lebensanschauung und die damit untrennbar verbundene künstlerische Produktion genügen keinesfalls einer eventuellen Einführung des Begriffes Zappaismus. Auf der Suche nach geistigen Verwandten stößt man unweigerlich auf eine Reihe amerikanischer Schriftsteller und Poeten der �50er und frühen �60er Jahre, die in der Literaturgeschichte als Beat-Generation bekannt sind und deren Einfluss auf das Bewusstsein einer ganzen Generation junger Amerikaner, vor allem auf Highschool-Vertreter und Studenten, nach den finsteren Jahren des McCarthyismus nicht unterschätzt werden kann. Die von Senator Joseph McCarthy (1909 � 1957) betriebene Diskriminierung nonkonformistischer Intellektueller im Film-, Hörfunk- und im Pressewesen, die Verfolgung liberaler Künstler, der Gesinnungsterror gegen progressive Schriftsteller und die mit Hilfe der Medien betriebene Schablonisierung des Denkens veränderten das geistige Klima und die kulturelle Szene in den Vereinigten Staaten. Dieses unerträgliche Klima und die davon hervorgerufene Protesthaltung brachten die Beats zu Papier und trafen damit vor allem den Sinn der Jugendlichen aus den mittleren Schichten des Weißen Bürgertums und des Lumpenproletariats, die ein wachsendes Unbehagen an der gesellschaftlichen Realität, an der Lebensweise ihrer arrivierten, mit Vorstadtvilla und Zweitwagen ausgerüsteten Eltern, an deren Idealen und Wertbegriffen sowie am geistig-kulturellen Leben empfanden. (siehe auch Weimarer Beiträge 3/85) In dieses geistige Vakuum, das nichts anderes war als das Fehlen einer jugendgemäßen Lebensweise, stießen Schriftsteller wie Jack Kerouac und Lyriker wie Allen Ginsberg. Einen weit größeren Stellenwert im Leben junger Leute sollte alsdann der Musik zukommen, allerdings nicht den Schlagern aus der Tin Pan Alley, sondern den vitalen Songs der beginnenden Rock-ära, deren sinnliche Power so recht als Oppositionssymbol gegen Eltern und Establishment geeignet war. Das Mystische, die verbal so schwer fassbare Faszination dieser Musizierweise beschreibt Jack Kerouac in seinem Roman �On The Road/Unterwegs� folgendermaßen: Also, Mensch, dieser Altist gestern, der hatte ES � er hielt es fest, nachdem er es einmal gefunden hatte, ich habe niemals einen Kerl gesehen, der es so lange festhalten konnte... Da steht ein Kerl, und alle sind dabei, verstehst du? Seine Aufgabe ist, auszudrücken, was sie alle im Kopf haben. Er fängt den ersten Chorus an, dann reiht er sie aneinander, seine Gedanken, Menschen, ja, ja, verstehst du recht, und dann steigt er zu seinem Schicksal empor, und das, was er bläst, muss dessen würdig sein. Ganz plötzlich mitten im Chorus kriegte er es zu fassen � alle schauen auf und wissen es, sie horchen, er greift es auf und führt es weiter. Die Zeit bleibt stehen. Er füllt den leeren Raum mit der Substanz unseres Lebens, Geständnissen, des Triebes, der aus den Tiefen seines Lebens kommt, den Erinnerungen an Ideen, den Wiederholungen früherer Chorusse. Er muss über Brücken blasen und zurückkehren und es mit so unendlichem, die Tiefe der Seele erforschendem Gefühl für die Melodie des Augenblicks tun, dass jedermann weiß, es ist nicht die Melodie, auf die es ankommt, sondern ES -.�

Diese Beschreibung spontan-intuitiven Musizierens hat wenig mit den generellen künstlerischen Ideen eines Frank Zappa zu tun, höchstens mit seinen glänzenden Soli. Sie dient lediglich dazu, die erwachende Aufmerksamkeit für eine Musik anzudeuten, die das Lebensgefühl der Heranwachsenden präzis und verschwommen zugleich dokumentierte. 1957 kam Kerouacs Roman heraus und erwies sich in den heißen Hippietagen von San Francisco als Prophezeiung ihrer selbst. Die von Beat-Autor Norman Mailer formulierte Feindschaft zwischen den anständigen, auf Nummer sicher gehenden squares und den auf bürgerliche Sicherheit verzichtenden, desillusionierten hipsters geht zuungunsten der hipsters aus. Zappa war nie ein hipster, denn als solcher hätte er seine Pläne nie verwirklichen können � er war und ist ein Pragmatiker, der die Spielregeln des bürgerlichen Musikgeschäfts genau kennen muss, um bestehen zu können. Sein Zynismus ist daher lediglich ein Rudiment aus den schönen alten Tagen in den Mitsechzigern, als jedes Happening noch die Sprengkraft einer revolutionären Initialzündung zu haben schien.

Ein beliebter Treffpunkt für verwegene Happenings war 1966 das Studio des Bildhauers Vito in Los Angeles. Dieser Künstler aus den �60er Jahren scharte Vertreter der damaligen Subkultur um sich, also Musiker, Tänzer, Schriftsteller, förderte freien Sex und richtete das erste städtische Crash Pad ein, das heißt eine Art Herberge für Gleichgesinnte � eine Errungenschaft der Hippiekultur. Ohne Zweifel wird Frank Zappa, dessen kleinbürgerliches Elternhaus noch benannt wird, bei Vito enorme Anregungen erhalten haben, nicht zuletzt durch Vitos Bekanntschaft mit dem Beat-Lyriker Allen Ginsberg. Er gehörte zu den schärfsten Kritikern des American Way of Life mit dem seelenlosen Mechanismus aus Arbeit/Konsum und Konsum/Arbeit und der nahezu krankhaften Machtbesessenheit. Für Ginsberg waren die USA Ende der �50er Jahre, also noch vor dem Kuba-Embargo und dem übergriff auf Vietnam, �... ein Amerika, das besessen ist von der Anbetung materieller Werte, ein Polizeistaat Amerika, ein Amerika ohne Sex und Seele, das bereit ist, die ganze Welt zu bekämpfen, um ein falsches Bild von seiner eigenen Autorität zu verteidigen.� (zitiert nach Sinn und Form 5/65) Vergleiche zwischen den demokratischen Idealen aus der Gründerzeit der USA und deren Revision vor allem nach dem 2. Weltkrieg stellten die Beats immer wieder an. Die Frage lautete: Wer repräsentiert eigentlich Amerika, wer darf sich amerikanischer Patriot nennen? Diese, auf den ersten Blick naive Frage bekam gerade in jener Zeit, wo McCarthys Ausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Tätigkeit den Patriotismus streng verwaltete, eine unerhörte Brisanz. Bei Ginsberg liest sich das so (und er spricht hier über das Cover des Time Magazine): �Sein Titelbild starrt mich an jedes Mal, wenn ich an Candystore vorbei schleiche. Ich lese es im Erdgeschoss der Berkeley Staatsbibliothek. Es redet mir stets von Verantwortung.
Geschäftsleute sind nervös, Filmproduzenten sind seriös. Alle sind seriös.
Es dämmert mir, dass ich Amerika bin.� (ebenda)

Ohne ausdrücklich auf eine Identifizierung mit Amerika zu verweisen, nimmt Frank Zappa auf seinem ersten Plattenwerk, dem ersten Doppelalbum der Rockgeschichte �Freak Out�, eine ähnliche Position wie Ginsberg ein. Im Stück �Hungry Freaks, Daddy� spricht er den sinnbildhaften �Mr. America� an, den personifizierten Machtapparat, und legt ihm einige Fragen vor, die auf eine Spaltung der Gesellschaft hinauslaufen, deren Urheber offenkundig mit wachsender Gegenwehr zu rechnen haben:
"Mr. America
Geh vorbei
An den Schulen die nichts lehren.
An den Köpfen zu denen du nie durchdringen wirst
Mister America
Versuch mal
Deine innere Leere zu kaschieren
Wenn sich herausstellt das deine Lügen und all die faulen Tricks mit denen du es versucht hast nichts ausrichten gegen die steigende Flut von hungrigen Freaks, Daddy
Sie haben nichts mehr übrig
für die hochtönende Unternehmer–Philosophie Marke mittleren Westen
Die alle abblitzen lässt
Die keine Angst haben ihre Meinung zu sagen
Die Ausrangierten
Der Great Scociety
Mister America
Geh vorbei
An deinem Supermarkt-Traum
An deinem Heiligtum, dem Spirituosenladen
Mister America
Versuch mal
Das Ergebnis deines rabiaten Stolzes zu kaschieren:
Die Köpfe die du als unnütz abgetan hast
Als du ihnen mit einem Achselzucken aus dem Weg gegangen bist
Du hast nur ihre Kleider gesehen und lamentiert
Diese hungrigen Freaks, Daddy."

Gut ein Jahrzehnt früher, 1955, hatte Allen Ginsberg in seinem Gedicht "Howl" geschrieben: "Ich sah die besten Geister meiner Generation vom Wahnsinn zerstört, hungernd in hysterischer Nacktheit." Das Lamento hatte sich Mitte der sechziger Jahre erledigt. Die Linken aller Schattierungen wollten zur Tagesordnung übergehen. Zwischen Januar und März 1965 kam es zu Bürgerrechtsdemonstrationen in Selma/Alabama, nach der Ausdehnung der Aggression gegen Vietnam am 7. Februar protestierten 10 Wochen später 30.000 Demonstranten in Washington, am 21. Oktober 1967 waren es 150.000 an gleicher Stelle. Diesen Marsch aufs Pentagon hat Norman Mailer 1968 als phänomenalen Report (�Heere aus der Nacht�) herausgebracht und damit auch die berühmte Teufelsaustreibung der New Yorker Fugs vor dem Pentagon geschildert (den bösen Mächten sollte der Garaus gemacht werden). Die Fugs waren das seinerzeit schon bekanntere, dann aber schnell in Vergessenheit geratene New Yorker Pendant der Mothers of Invention von der Westküste. Nach den Unterschieden beider Gruppen befragt, antwortete Fugs-Initiator Tuli Kupferberg:� Die Mothers waren in Wirklichkeit Frank Zappa, es sollte heißen The Mother of Invention, wogegen die Fugs in erster Linie aus drei Leuten bestanden, dazu kamen einige Menge guter Musiker, Zappa war politisch nicht sonderlich entwickelt, seine Kritik an der Kultur war eine sehr scharfe, sie war gut, besonders die an der Jugendkultur. Zappas Kritik war gewitzt, und clever und seine Musik war sicher sehr gut und unterhaltend. Aber, ich habe einmal mit Zappa gesprochen, wir hatten einen Streit bei einem Festival in Deutschland (das links orientierte Essener Song-Festival vom September 1968 � d. A.), und da äußerte er sich total abfällig über �the commies�, er verurteilte pauschal sämtliche Kommunisten. Er mochte keine Radikalen, und er merkte gar nicht, dass er selbst ein ganz ordentlicher Radikaler war. Ich glaube, sein Bewusstsein war nicht sonderlich entwickelt... Bei Zappa hat man das Gefühl, es gehe nur darum, Spaß, a good time, zu haben... was durchaus radikal sein kann, besonders in einer Gesellschaft, die gar nicht fähig ist, ihren Spaß zu haben, ohne jemanden zu verprügeln, sich zu betrinken oder....einem anderen Land den Krieg zu erklären. Die Mothers waren Kritiker an der Kultur und der Lebensweise, wogegen die Fugs alles kritisierten.� (zitiert nach Rocksession 3/79)

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