FUGAZI
Wir sind keine Plattenkacker

Da will ich nun schon mal ein T-Shirt von einer meiner Lieblingsbands haben,� und dann stellt sich heraus, da� eben diese Band aus Washington D. C. strikt gegen jede au�ermusikalische Verwertung der eigenen Identit�t zu Felde zieht. Ich h�tte es eigentlich wissen m�ssen! FUGAZIs "Repeater"-Album (1990), womit ich mich dutzendemale verw�hnt hatte, enthielt diesen unmi�verst�ndlichen Nein-Song an alle Gesch�ftemacher: What Could A Businessman Ever Want More Than To Have Us Sucking In His Store ("Merchandise"). Ja, mein Gott, anschlie�end kam dieses geniale "Blueprint" - und schon hatte ich die Warnung vergessen.

You Are Not What You Own. Diese These ist so wahr wie sie hundertprozentig dem zuwiderl�uft, was die Werbeindustrie so �beraus trickreich unseren Sinnen injiziert: Produkte qualifizieren K�rper und Geist, Produkte korrigieren, was mittelm��ige Gene und mickrige Gelder deiner Ahnen� versaut� haben. Ich scheine, also bin ich!

Na gut, ich will's nicht zu weit treiben. Naturbursche Ian MacKaye jedenfalls machte mich gleich nach der ersten Frage als Apologet� der Musikvermarktung dingfest, weil ich n�mlich wissen wollte, was denn wohl so gef�hrlich daran sei, wenn Leute mit Fugazi-T-Shirts rumliefen. Ich zum Beispiel, gestand ich ganz offen (und begab mich ungesch�tzt in die Schu�linie des Fugazi-Mannes), w�rde ganz gern so ein Teil tragen.

"Nun, du kannst dir ja selbst eins machen, wenn du willst. Wir wollen eben keine T-Shirts verkaufen. Und mehr m�ssen wir zur Begr�ndung nicht sagen. Da� du mich fragst, was denn so schlimm daran w�re, zeigt mir, da� diese ganze Merchandising-Geschichte inzwischen etwas v�llig Perverses geworden ist. Wir sind 'ne Band, wir machen Musik, wir sind keine T-Shirt-Firma. Wir sind hier, um Musik zu machen und nicht , um T-Shirts zu verh�kern. Und die Tatsache, da� trotzdem viele Leute illegal T-Shirts von uns drucken und verkaufen, zeigt die ganze Gier, die mit dem Gesch�ft verbunden ist. "

Gier - Greed. Schon wieder ein St�ck� auf "Repeater". Der Text ist ziemlich kurz, eben aufs Wesentliche gebracht: You Wanted Everything, You Needed Everything, Everything Is GREED.

Henry Rollins hatte mir gesagt, da� er die Vertragsunterzeichnung beim Industrie-Label Imago f�r eine Chance halte, durch einen gr��eren Vertrieb viel mehr Leute zu erreichen.

Ian MacKaye gef�llt auch das nicht.

"Ich kann mich nicht erinnern, da� wir jemals versucht h�tten, die Menge der Leute, die unsere Platten kaufen k�nnte, zu beschr�nken. Ich w�rde dem also nicht zustimmen. Die Zusammenarbeit mit einem Major ist eine M�glichkeit, wie man diese Musik vielen Leuten� in vielleicht h�herer Qualit�t anbieten kann. Wir verkaufen wahrscheinlich so viele Platten, wie es geht. 150 000 ist doch ganz okay, oder? Und f�r uns ist es eben nicht wichtig, da� wir 500 000 oder eine Million Platten verkaufen. Weil sich etwas gut verkauft, hei�t doch noch lange nicht, da� es auch wirklich gut ist. Es bedeutet nur, da� es f�r die Leute sehr leicht zu erhalten war, da� es ihnen vielleicht sogar aufgedr�ngt wurde. Was uns betrifft: Wir haben unser eigenes Label (Dischord) und dadurch v�llige Kontrolle �ber unsere Musik. Das ist uns wichtiger als die Verlockung, �berall erh�ltlich zu sein. Daf�r m�ssen wir uns wohl nicht rechtfertigen. "

Irgendwann sp�ter, als ich Ian frage, ob er die Indie-�sthetik/Ethik durch Bands wie Nirvana oder Soundgarden infrage gestellt sieht, kommt er noch einmal auf Rollins zur�ck.

"Klar kann es sein, da� sich diese Erfolge auf die Independent-Firmen negativ auswirken k�nnen. Aber es ist doch nicht so, da� es diese Bands waren, die diese Sache ins Rollen gebracht haben. Diese Bands haben erst bei Major-Firmen unterschrieben, als das Independent-System schon am Zerfallen war. Und sie mu�ten ja ihre Musik irgendwo herausbringen. Henry kann jetzt erz�hlen, wie toll es ist, �ber Imago vertrieben zu werden. Aber Tatsache ist doch, da� er bei Imago unterschreiben mu�te, weil sich kein Independent-Label um ihn gek�mmert hat. Das ist alles. Wenn Henry von einem Indie ordentlich behandelt worden w�re, dann h�tte er vermutlich nie bei einem Major unterschrieben. Ich w�rde also nicht sagen, da� Bands wie Nirvana oder Soundgarden f�r diese Entwicklung verantwortlich sind. Deren �berraschende Erfolge haben die Zerst�rung des Indie-Netzes lediglich beschleunigt. Aber das ist in Ordnung, denn dieses System stank schon. Wenn das jetzt zusammenbricht, bedeutet dies blo�, da� neue junge Leute mit neuer alternativer Musik kommen werden. Es ist wie mit der Haut: eine Schicht pellt sich ab und darunter erscheint immer wieder eine neue. Das l��t sich nicht aufhalten."

McKaye tr�gt ein kleines K�ppi, von dessen religi�ser Bedeutung ich �berzeugt bin. "Das ist keine Kappe, das ist ein Hut. Warum tr�gst du Schuhe, warum hast du ein Hemd an? Es ist nur ein Hut, er sch�tzt meinen Kopf vor der Sonne. Normalerweise habe ich k�rzere Haare. Heute scheint die Sonne ziemlich stark, also trage ich einen Hut. Man kann auch mit ihm schlafen. Er hat keine religi�se Bedeutung."

Okay, n�chste Frage: W�re es nicht mal wieder Zeit f�r ein neues Fugazi-Album (das j�ngste - "Steady Diet Of Nothing" - war bereits im Januar 1991 produziert worden)?

"Du stellst di Frage so, als ob wir schon ein fertiges Album h�tten, das nur darauf wartet, ver�ffentlicht zu werden. Wenn wir denken,� da� es Zeit w�re, w�rden wir auch eins ver�ffentlichen. Das ist aber keine Frage des Denkens, es ist eine Frage der Realit�t. Wir haben einfach noch nicht gen�gend neue St�cke. Wir schreiben immer noch. Es kommt, wie's kommt. Wir sind keine Plattenkacker."

Neun von den insgesamt elf St�cken der "Diet"-CD haben von mir einen Punkt bekommen. Das bedeutet: gut, kannste �fter h�ren. F�nf St�cke haben zwei Punkte - sehr gut. Trotzdem: keine dieser 91er Sachen �berf�llt mich so wie "Waiting Room", "Blueprint", "Sieve-Fisted Find" oder "Shut The Door". Denkt Fugazi eigentlichen in Begriffen wie Entwicklung? Geht die Band nach einem Plan vor oder sagt sie: Okay, das ist es jetzt, es gen�gt uns?

"Weder noch. Wir sind eine Band und versuchen uns herauszufordern. Wenn andere meinen, wir w�rden etwas Neues machen, dann ist das in Ordnung. Denken sie das nicht, ist das auch in Ordnung. Wir k�mmern uns nicht darum, was andere glauben. F�r uns ist Entwicklung nat�rlich und unausweichlich. Wir versuchen nicht, immer dieselbe Musik zu schreiben. Wir versuchen auch nicht, immer etwas Neues zu machen. Wir schreiben einfach nur Musik - und die kommt, wie sie kommt. Die H�lfte der Leute beschuldigt uns, wir w�rden uns st�ndig wandeln. Die andere wirft uns vor, wir w�rden uns �berhaupt nicht ver�ndern. Ich glaube also, das macht keinen Unterschied. Wir versuchen uns zu fordern. Und wenn das auch f�r andere eine Herausforderung ist - wunderbar. Wenn nicht, ist das auch okay. Es ist doch blo� Musik."

Washington, die amerikanische Bundeshauptstadt also, hat der Welt einige der rabiatesten Hard Core Acts beschert, z. B. Ian MacKayes Minor Threat und andere aus der Dischord-Labelkommune. Trotzdem: Wer von Washington-Musik� redet (und nicht zum harten Kern des Dischord-J�nger z�hlt), meint vor allem GoGo - �ppige Klubmusik der Schwarzen, die 70 Prozent der Hauptst�dter ausmachen. Nun liegt der H�hepunkt dieses Rap-Funks mit gro�er Besetzung schon eine Weile zur�ck. Dennoch scheint sich zwischen den beiden Musikkulturen der Ami-Metropole noch nicht viel berwegt zu haben.

"Viele Schwarze lachen einfach nur �ber uns, und die meisten Wei�en k�nnen mit diesem GoGo-Zeug nichts anfangen. Es gibt nat�rlich auch ein paar wei�e Kids, die zu GoGo rennen und ein paar schwarze gehen ab und zu auf punk-Konzerte. Aber eine richtige Vermischung, so wie du sie dir vielleicht vorstellst, gibt es nicht. Musik ist eben eine Widerspiegelung von Kultur - und wir kommen aus verschiedenen Kulturen. Das hie�t nicht, es g�be in Washington keine Wechselwirkung zwischen Schwarzen und Wei�en. Ganz im Gegenteil - diese Wechselwirkung ist enorm. Aber, auf der kulturellen Ebene existieren eben unterschiedliche Bedr�fnisse und W�nsche. Wenn eine Jugendlicher aus einer armen Gegend kommt, ein junger Schwarzer, dann will der nat�rlich Geld haben. Daf�r handelt er dann vielleicht mit Dope. Und ein wei�es Kid, das aus einer eher wohlhabenden Gegend kommt, das sieht die ganze Heuchelei, die hinter dem Geld steckt und will vielleicht v�llig ohne Geld leben. Die Leute sagen immer, da� es in der Musik mehr Integration geben sollte. Ich stimme dem zu. Aber so lange z. B. Fugazi-Konzerte f�r alle Leute offen sind, so lange auch alle zu den GoGo-Shows gehen k�nnen, ist das kein wirkliches Problem. Viel schlimmer finde ich Bevormundung: Ihr m��t in unsere Konzerte kommen! No Way - sie haben ihren eigenen Geschmack. Sie sind willkommen, mehr als willkommen. Wenn sie aber kein Bock darauf haben, dann ist das ihr gutes Recht. Sie m�gen uns eben nicht. Okay!"

Brandan Canty (dr), Joe Lally (b), Guy Picciotto (g, voc) und Ian MacKaye (g, voc) sind kurzhaarige, d�rre, sich Rauschmitteln� aller Art� verweigernde Vegetarier-Typen. Eine kr�ftig rauchende, bierschluckende,� Menge im Berliner Tempodrom� ereilte die kollektive Maulsperre, als sie dieses bis zum letzten (reinen) Schwei�tropfen tobende Quartett sah und h�rte. Purste Hard-Core-Natur mit der Kraft der vier Herzen. McKaye entledigte sich ab und zu der Gitarre, um artistische Spr�nge vorzuf�hren, die Andr� Heller (und andere Kenner k�hnster Zirkuskunst) zu Tode erschrecken w�rden.� Und dann brachten sie sogar live fertig, was zu den Highlights ihrer bisherigen Platten z�hlt - die Sound-Beschleunigung aus dem Stand auf Hundert (Repeater, Blueprint usw.). Wer sich dabei nicht den Hals bricht, mu� einfach total clean sein.

Pan Fugatzki

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