DIE SKEPTIKER

Ein Lied geht um die Welt
Oder
Weg vom Image der Politbrüller

Berlin Ost, Wilhelm-Pieck-Straße, Hinterhof, 4. Stock, Küche/Arbeitsraum. Eugen, Rudi, Matze, Jan und Pan B. Auf dem Tisch O-Saft Tetrapack, Gläser, Aschenbecher, Walkman, Mikro, verschiedene Papiere, Reproduktionen. Gespräch zur LP "Schwarze Boten". Rudi schreibt ein Fax zum neuen Schriftzug: �Buchstaben fetter, das DIE vertikal geraffter (aber hochkant gesehen), das S auf Deinem Vorschlag kommt uns vertikal kleiner vor als der Rest der Buchstaben...�

Auf dem Tisch liegt der Cover-Entwurf . Verglichen mit dem knackigen Foto knüppelstoßgeiler Ordnungshüterärsche auf dem Vorgänger-Album "Sauerei", begeben sich Die Skeptiker mit Hilfe der malerischen Talente ihres Fans Bernd Riedewald in dekorative Kunstgefilde, suijetbezogen gesprochen: ins Ohr. Allerdings unterläuft ihnen dabei nicht der Fehler der Stranglers, die sich ehedem ihre eigenen Songs als Aural Sculptures (also Plastiken fürs Gehör) zu würdigen anmaßten, sondern betätigen sich eher - auch das eine gewisse Art von Arroganz - als Kammerjäger, nein, nicht nur der musikalischen, sondern auch der kommunikativen Aufklärung. Wahrlich keine einfache Aufgabe angesichts des schier unaufhaltsamen kulturellen Aids.

Ein Mann im Ohr mit einer Giftspritze. Habt ihr die Entkeimung der Gehörgänge vor?

Eugen: Ich würd's eher anders übersetzen. Und zwar, daß dir so'n Haufen Blödsinn erzählt wird an Ideologien und Wertvorstellungen, daß sich wirklich ein Haufen Dreck im Schädel ansammelt - und der muß weggepustet werden.

Also die Skeptiker als Anti-Agitatoren!

Eugen: Ein Anti-Agitator würde ja wieder zum Agitator.

Reden wir vom Plattenkonzept

Eugen: Ein Konzept-Album ist es ja nicht, eher eine Ansammlung von netten Titelchen...

...die einfach im Laufe der Zeit entstanden sind, ohne den Drang, etwas besonderes machen zu wollen?

Eugen: Ja, könnte man so sagen.

Ist das nicht ein bißchen wenig?

Eugen: Ich denke nicht, daß man das als wenig empfindet, wenn man's hört, weil wir ja, gemessen an den Dingen, die vorher passiert sind, da schon ziemliche Farben reingebracht haben, die bestimmt keiner erwarten wird, der sich das Teil reinzieht.

Da muß ich zustimmen. Der etwas kantige, hysterische...

Eugen: Paß auf, was du sagst!

...etwas hechelnde Stil ist spürbar zurückgedrängt worden, oder?

Eugen: Na, wir wollten eben ein paar Farben mehr reinbringen, was uns ja, denke ich, auch gut gelungen ist.

Ja. Was aber hat den Zwang ausgeübt, andere Farben, wie du sagst, zu verwenden?

Rudi: Das war kein Zwang, Wir wollten ja nicht unbedingt etwas anderes machen.
Matze: Wir wollten alle Sachen besser auf den Punkt bringen, z. B. den Gesang besser in den Sound integrieren.
Rudi: Der Gesang stand ja bisher immer ein bißchen theatralisch im Vordergrund - was ich aber auch gut fand. Bei der neuen Platte ist das besser geregelt, er kommt besser mit der Musik zusammen, harmoniert mehr. Dadurch ist die Platte insgesamt natürlich etwas melodischer geworden, klingt nicht mehr so kantig.
Eugen: Wir haben, um noch mal von den Farben zu reden, unterschiedliche Hörgewohnheiten und Intentionen. Und diese Vielfalt, die interessehalber bei jedem da ist, die wollten wir ein bißchen mehr verschmelzen. Das hat den Effekt gehabt, der zu hören ist: von der Klassik-Gitarre bis zur Operette. Wir sind ja nicht auf das beschränkt, was wir bisher getan haben. Insofern hat sich da keiner was abgequält. Das ist von Feeling und Interesse her sowieso da - wir habes es einfach nur mit eingebaut.
Matze: Früher haben wir uns eher an unserem Klischee festgehalten, indem wir gesagt haben: Das können wir nicht machen, weil's eben nicht paßt. Warum aber sollen wir etwas nicht machen, bloß weil wir's bis jetzt noch nicht rausgelassen haben.

Das heißt, Ihr seid als Skeptiker souveräner geworden, und es schert Euch nicht, was alte Skeptiker-Fans zu diesen neuen Farben sagen!

Jan: Daß wir die Skeptiker sind, haben wir bei der letzten Platte auch schon gewußt. Aber wir dachten eben, wir sind eine bestimmte Band und man kann sich eben bestimmte Sachen wegen der Fans nicht erlauben. Und jetzt haben wir das, was wirklich jedem von uns gefällt - wir hören ja nicht nur Punk.
Rudi: So extrem würde ich das gar nicht sagen. Ich habe mich auch früher nicht an Klischees festgehalten. Vielleicht kann ich jetzt besser Gitarre spielen.

Ist das der endgültige Abschied der Skeptiker vom hechelnden Punk?

Rudi: Nee, überhaupt nicht.
Jan: Zumindest in der ersten Hälfte der neuen LP ist der noch voll drin.
Matze: Es hat sich einfach nur entwickelt. Wir wollen uns nicht von irgendwas mit Macht lösen. Es passiert einfach.
Rudi: Es hat auch mit dem Umfeld zu tun, wo du wohnst, z. B. im Prenzlauer Berg, und was du privat hörst, welche Platten dich im letzten Jahr beeindruckt haben.

Nennt mal ein paar.

Rudi: Neuerdings viel Techno-Sachen. Ansonsten Pantera. Was die gemacht haben, ist schon der Hammer, echt.
Matze: Suicidal Tendencies, Infectious Grooves...
Eugen: Moderne Sachen interessieren mich so gut wie gar nicht. Ich fahre auf Stimmen ab, und da gibt's für mich ein paar alte Idole - Zarah Leander, Josef Schmidt, Richard Tauber...
Jan: Man kann nicht sagen, daß wir uns jetzt den Ami-Bands nähern wollen. Uns ist schon bewußt, daß dieser Gesang mit den deutschen Texten unser Ding bleiben wird und daß wir jetzt nicht am liebsten unbedingt wie PRONG spielen wollten, wenn wir könnten. Das bleibt immer nur ein Einfluß.
Rudi: Die Soundveränderungen haben auch viel mit dem Schlagzeuger zu tun, den wir uns für die Produktion ausgesucht haben - Ulli Kusch. Der hat bei Holy Moses und solchen Bands gespielt, kommt mehr vom Thrash. Wir hatten auch totalen Bock drauf, mit so einem was zu machen. Davor hatten wir immer Schlagzeuger, die rumeierten. Wir wollten endlich mal auf den Beat kommen. Und das hat jetzt glücklicherweise geklappt. Obwohl wir mit ihm nicht mal üben konnten. Der hat's total drauf. Das hört man.

Dann werden wir jetzt wohl über Euren Ex-Drummer Günther Spalda reden müssen.

Rudi: Wir haben das schon easy geklärt. Am Anfang hatte ich echt Vertrauen zu ihm. Der hatte einfach so 'ne Art, daß du Vertrauen haben konntest. Bei Veranstaltern ist es aber ziemlich ätzend abgelaufen. Dann hatten wir die einhellige Meinung, daß der Mann raus muß. Der Hauptgrund lag im Musikalischen.
Eugen: Der hat echt den Größenwahn geschoben. Ich habe keine Lust mehr, darüber zu labern, ist vorbei.

Reden wir über die Produktion. Ihr hattet mehr Kohle, die Firma war netter zu Euch.

Matze: Wir haben's uns rausgebissen.
Eugen: Wir haben sie überzeugt, sagen wir's so. Das Budget lag so um die 40 000 DM. Das war mehr als bei "Sauerei", aber knapsen mußt du trotzdem. Wir hätten auch gerne noch ein bißchen länger dran gewerkelt, dann hätten wir aber mehr Geld haben müssen, z. B. beim Mix. Aber das hast du ja bei jeder Platte, egal wieviel Geld du zur Verfügung hast. Immer dann, wenn's am spannensten wird, mußt du aufhören. Sonst hat's nie ein Ende. Insofern ist die Grenze des Budgets vielleicht der definitive Zielpunkt.

Tom Stiehler hat produziert. Wer ist das?

Matze: Der hat mit Killing Joke, Marillion, Fish gearbeitet. Ich habe den mal zufällig kennengelernt. Normalerweise macht der Produktionen, bei denen er richtig Geld verdient.
Eugen: Das war wirklich ein Freundschaftsdeal. Wir konnten ihm geldmäßig echt nicht viel bieten und händeringend haben wir ihn bequatscht, das Ding mit uns zu machen. Ich denke, die Platte war eine echt schwierige Geburt. Wir standen ja eigentlich kurz vor der Auflösung. Der Drummer ist vierzehn Tage vor der Produktion gegangen. Nur Chaos im Grunde genommen. So gesehen, haben wir mit Tom das Beste rausgeholt. Wenn wir die Chance gehabt hätten, die Platte besser vorzubereiten, dann wäre die Konstellation zwischen Tom und uns wahrscheinlich nicht so günstig gewesen. Denn menschlich, und das spielt bei einer Produktion auch eine gewisse Rolle, sind wir doch sehr verschieden. Alle miteinander sind wir nicht so auf den Punkt gekommen. Wir waren uns ja selbst nicht einig über den Sound.


Noch mal zu dem Auflösungsding. Es war nicht so, daß wir alle nicht mehr miteinander klargekommen wären. Es gab eben so viele Verzettelungen mit Umbesetzungen und Drummer-Tests...Aus Spaß wurde Krampf. Trotz alledem hat sich innerhalb des Krampfs ein zwischenmenschliches Ding entwickelt, was so geil, wie es jetzt ist, vorher nie war. Frust schiebt man immer, und dieses Auflösungsding hatte in dieser schweren Phase jeder mal irgendwie gehabt. Aber ich finde wichtig, daß sich ein Zusammenhalt herauskristallisiert hat, der darüber hinaus ging und anhält.

Und wie heißt nun der neue Schlagzeuger?

Matze: Wir haben noch keinen. Wir sind jetzt vier, die sich irgendwie einig geworden sind. Die Platte hat der Studio-Typ eingespielt. Und der hat uns auch jemanden aus Aachen für die Tour im Mai/Juni organsiert. Wir haben versucht, hier in Berlin einen Schlagzeuger aufzureißen. Das funktionierte nicht, obwohl wir 20 Leute getestet haben.
Eugen: Die meisten hier in Berlin haben uns Sprüche um die Ohren gehauen wie: Ach Punk, kein Ding, schaff ich schon. Und dann hast du mit denen probiert - ging einfach nicht. Waren auch gute dabei, die hatten aber ein völlig anderes Feeling. Die uns erzählten, Punk kriege ich schon, haben sich einfach mal übel verschätzt. Die wollten uns was anbieten, was wir so selber gar nicht machen, nämlich Schrubbel-Punk. Die endgültige Wahl werden wir nach der West-Tour im Mai und der Ost-Tour im Juni treffen. Ein Drummer aus dem Heavy-Bereich wäre klasse.

Wie ist denn "Sauerei" verkauft worden?

Eugen: Bei 14 000 steht sie jetzt, eigentlich zu wenig. Die läuft zwar weiter, aber wir hatten mehr erwartet. Die erste hat sich bisher 27 000mal verkauft. Davon ein Drittel im Westen, zwei Drittel im Osten - eigentlich ein gutes Verhältnis. Du kannst die Jahre, die du im Osten bekannt warst, nicht über Nacht im Westen aufholen. Ich glaube schon, daß wir gut über die Grenze geschwappt sind.

Camile Claudell

Sie war schön und jung an Jahren
Er war ein reifer Mann
Und sein Ruhm ging über Grenzen
Oh, sie betete ihn an
Aber nicht von langer Dauer
Bald kam es zum Streit
Waren sie erst eng verbunden
Wurde er ihr ärgster Feind

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